Gerettet
Muß erst ein Grubenunglück passieren, damit man Leben wieder spürt, um die Herrlichkeit des Atmens neu zu definieren. Licht als schmerzhaft empfinden, so das dickes Schwarz die Augen schützen muß, ist dass das neue Sehen? Warten wir nicht alle eingeschlossen zwischen Steinmassen auf einen rettenden Fahrstuhl aus dem All, der uns der Sonne entgegen aus diesem Geröll befreit? Lassen wir uns nicht all zu gern auf dieses Grubenspielchen ein, machtlos, kraftlos, fallenlassen bis man Mauern spürt, nicht sehen können, nicht handeln können, warten, warten, warten…und die Verantwortung für das eigene Leben Anderen überlassend.
Als John K. An jenem Morgen seine Familie verlässt waren ihre letzten Worte: „Ich lass mich scheiden, du elender Versager.“ und seine letzten Worten waren nur: „Ich hasse dich.“ Zwei Stunden später brachte ihn der Polier zusammen mit 10 anderen Kumpel nach unten in die Kupfermine, mit Hammer, Meißel, Bohrer konnte er umgehen. John mochte das Gefühl von Stahl an seinen Händen, liebte die starren Reliefs, die er in den Felsen schlug, Gesichter, die blieben, ohne Münder, die falsche Worte sprachen, ohne Gedanken, ohne Gefühl. Einseitig. Oft strich seine Hand über dieses steinige Ensemble, oft verlor er sich in Betrachtungen, und oft nannte er es Liebe, wenn er seine trockenen Lippen an diesen glitzernden Staub presste.
Nach der Explosion vermischte sich dieses Glitzern mit der Luft, und 11 atmeten um ihr Leben, sogen dieses Gemisch tief in ihre Lungen und besiegelten so ihren Packt mit dem Leben…und dem dazugehörigen Bruder Tod.
„Du kannst nicht beides haben, J.K.“ hustete es neben ihm, „verstehst du nicht, niemand kann das. Entweder du versteckst dich hier zwischen den Steinen in der Dunkelheit und stirbst oder du bleibst oben und wartest im Licht auf den Tod. Oder du hast Mut und triffst Entscheidungen.“
John lächelte, und war gleichzeitig wütend: „Entscheidungen, pah, die hab ich getroffen. Meine Alte lässt sich scheiden, und meine letzten Worte dürften ihr noch in den Ohren bimmeln“
Als 20 Stunden später der Rettungsbohrer ein Miniloch zu ihnen bohrte, sie die Nachricht ihres Überlebens nach oben schickten, 5 Tage später Nachrichten der Familienangehörigen nach unten gelangten und John den parfümierten Zettel seiner Noch-Ehefrau in seinen Händen auseinander faltete mußte er lachen:
„Ich wette, du Penner hast die Grube einstürzen lassen, nur um einen Grund zu haben, nicht mehr nach Hause zu kommen. Vergiss es John, Arschloch, die tun hier alles, um euch da rauszuholen, und dann Gnade Dir Gott.“
Er zeigte seinen Liebesbrief den anderen Kumpel, und versteckte ihn dann in seiner Brusttasche, direkt an seinem Herzen.
Himmel, war er froh, das sich nichts verändern würde, egal wie lange er hier ausharren mußte…Und er wußte auch, das er ewig in dieser Grube arbeiten wird, mit oder ohne diese Frau, das einzige, was zählte war doch, das sich nichts veränderte. Zart strichen seine Finger über die weichen Kanten der von ihm geschaffenen Reliefs, und jedes Gesicht dort unten liebte er wie seine ungeborenen Kinder…Nein, er wartete auf keinen Fahrstuhl aus dem All, sein Fahrstuhl wartete zuhause, mit keifender Stimme, die ihn jeden Morgen daran erinnerte, das er lebendig war. Mehr nicht, und weniger auch nicht.