Mondlandung

Auf dem Mond zu landen ist bestimmt genauso unbefriedigend wie die meisten Wunscherfüllungen. Ich stelle mir etwas vor, träume, male es mir aus und farbig, wünsche es mir, bekomme es, und…? Auf dem Mond ist es dunkel, kalt, man sieht nur die Scheibe des Helmes, die beschlägt, laufen klappt nicht, und die Reise dahin war lang…lesen klappt nicht, essen ist nicht möglich, mir ist schlecht…

Nein, keine Mond...

Ich stehe auf dem Dach eines 23 Geschossers, sehe den Grenzübergang Checkpoint Charly, Doppelstockbusse, Häuser, die bunt sind, blinkende Werbetafeln, ergänze das Gesehene mit der Reklame im Fernsehen und weiß, das ich dort, hinter der dicken Mauer auch mal laufen werde. Ich weiß es und kann es kaum erwarten. Mit 11 hat man noch die Kraft, Wünsche und Wissen miteinander zu verbinden, so das sie Wirklichkeit werden. Nach 5 Jahren war es soweit…nach 5 Halben in den Alt Köllner Schankstuben stolpern wir an den Grenzkontrollen vorbei, schwanken in die U Bahn, ich schlafe fast ein, Linie 1 saust durch Kreuzberg, rotzt uns Moritzplatz raus, in die nächste Kneipe, anstatt Berliner vom Fass Schultheiss vom Fass, auf Kosten des Hauses nach Vorlage des DDR Ausweises…super…ich bin richtig voll, und zurück erlebe ich nur noch im Vollrausch. Aufwachen im Osten, die Mutter sauer, weil das unbekannte Fernsehbekannte ohne Erlaubnis betreten wurde… kann ich nicht verstehen, also ihre Wut, weil ich sowieso nichts mehr weiß, und betrunkener war als der Junkie, vor dem sie große Angst hat. Hab keine Junkies gesehen, sage ich, und weiß auch gar nicht, wie die aussehen.

Gibt doch nur Drogenabhängige da drüben, schreit meine Mutter, du hättest tot sein können.

Ihr eigener Kater verstärkt noch die Wut, ich weiß, das in ein paar Stunden das ganze hier vergessen ist, und am Abend will sie bestimmt am liebsten mitkommen, wenn der Schnapsrausch noch frisch ist.

Doch das ist alles später. Jetzt stehe ich auf dem Hochhausdach, neben mir steht Hajo, wir langweilen uns, der Ausblick ist was für Erwachsene. Außer dem Kribbeln, wenn man über die Brüstung 100 Meter in die Tiefe blickt. Eigentlich warten wir darauf, das mal wieder einer springt. Wie letzte Woche, als die letzte Stunde ausfiel.

Der Mann klatschte hinter dem Auto unseres Werkenlehrers auf den Asphalt, einige aus meiner Klasse haben ihn fallen gesehen und waren mit dem Erlebnis überfordert. Als sich der ganze Vorfall rumgesprochen hatte, konnte kein Unterricht mehr stattfinden. Dani weinte, Claudia auch, der Rest starrte aus dem Fenster, als ob gleich noch ein zweiter angeflogen kommt.

Die Polizei hatte Sand auf die Stelle gestreut, so das der Blutfleck verdeckt wurde. Ich stellte mir vor, das dort nicht nur Blut sein würde. Ingo ging am Nachmittag dicht heran an den roten Sand; mit Peer und Daniel, Stöcker in den Händen, mit denen sie im Sand rumkratzten. Ich traute mich nicht so nah heran.

Damals wußte ich noch nicht, das Freitod und meine Familie irgendwie zusammengehörten. Ich hatte entsetzliche Angst, mich dem Sand zu nähern, und wollte gleichzeitig alles sehen. Sogar riechen. Noch heute wechseln sich Faszination und Ekel bei dem Gedanken an Mord und Leichen ab. Und so muß auch hier eine Wunscherfüllung unbefriedigt bleiben. An einen Toten zu denken und einen Toten zu sehen, dazwischen liegen Angst und unzensierte Vorstellungskraft.

Zwei Wochen später, mitten in der Nacht, sprang eine Frau aus dem Nebenhaus genau vor den Eingang der Poliklinik. Meine Mutter weckte mich, oder ich wurde von den Sirenen wach. Ich erinnere mich an Blaulicht, an den Schnapsatem meiner Mutter und an ein schabendes Geräusch. Auf den Balkon durfte ich erst am Morgen, und auch erst, nach dem meine Mutter kontrolliert hatte, das alles weggeräumt wurde.

Ich will den Blutfleck nicht mehr sehen – sage ich. Doch meine Mutter beschreibt ihn in einer Bildhaftigkeit, das ich ihn fast riechen kann. Und obwohl ich ihn wirklich nicht sehen will, schiebt mich Faszination und Ekel auf den Balkon, und mein Gesicht über die Brüstung.

Ein Blutfleck, mit der Form eines liegenden Körpers. Das schabende Geräusch in der Nacht war mit dem Versuch verbunden, diese Zeichnung wegzuwischen. Unmöglich. Hatte sich sofort in den Granitstein gefressen, als etwas anderer Wegweiser für die Besucher der Poliklinik.


Zwischen den Gleisen (2001)

Ein Narr, der sich in ungünstigen Augenblicken Arbeiter nannte; nun das Gleis im Nacken, den Rücken auf Bohlen, und Schotter dazwischen.

Da liegt er.

Die Schminke ist Brückenstaub und an den Händen noch die Krümel von dem Brot für eins zwanzig. Während er liegt, wartet, mit unruhigem Fuß in festem Lederschuh, kommt ihm das Leben in seine Gedanken. Es zieht nicht vorbei. Und wenn, dann wäre er zu müde, den Film zu verfolgen.So berühren ihn Sequenzen, in Vielen ist Farbe, vielleicht das Nachtlicht oder auch die Blume im Haar seiner Mutter.

Vielleicht war es auch sein Leben, das mit der Farbe.

Der Mond zwinkert im Deckel seiner Thermoskanne, und im Kaffee, den er sich noch schnell eingegossen hat.Schluck für Schluck trinkt er liegend, trinkt den Mond aus dem Becher, und sieht ihn nicht einmal.Einzelne Tropfen rinnen am Kinn entlang, runter an seinem Hals.

Auch das ist Warten, und wieder Sequenzen, und alles ist Farbe.

Schön war es in Wien, auch ohne die Kinder.Auch ohne Marie die ihn zu dieser Reise ermutigt hatte.Als er zurückkam, musste er drei Menschen begraben, das Auto trotzdem weiter abbezahlen. Die Trauer stand nicht im Vertrag. Es tut ihnen sehr Leid. Auf der Beileidskarte war das Fordzeichen, und mit der Karte kam die Aufforderung für die weiteren drei Raten.

Ein Narr, denkt er, der in ungünstigen Augenblicken trotzdem lächelte, und er dreht sich auf die Seite. Das Gleis am Ohr, und Schotter unter der Schulter. Die Beine jetzt gewinkelt, Staub an dem Anzug. Die Schminke gestreift von Tränen, die er vorher nie geweint hat. Auf den Bohlen ist Farbe, Nummern in rot, die er nicht sieht. Gäbe es einen letzten Gedanken, wäre dieser zu lang für nur einen Gedanken.

Und jetzt kommt die Wut. Der Narr, der er nie war, und doch immer dachte, er sei es gewesen, richtet sich auf, und erhebt sich sogar.

Der Kaffee, noch heiß in der Kanne, bleibt liegen, dort zwischen den Gleisen, und der Mond bleibt auch dort, als Funkeln auf dem summenden Metall, während der Arbeiter müßig seine Sachen beklopft und den Damm besteigt, mit nichts in den Händen. Die Krümel sind weg, gekrümmt die Finger, fast schon zu Fäusten geworden.

Der Autor will ...

1Alexander

Bücher verkaufen, den Alltag aufschreiben, Kaffee trinken, oft zuviel, manchmal Geschriebenes vorlesen, mal laut, mal leise, Musik auf den Tag abstimmen, oft dabei scheitern, weil die Stimmung zu oft wechselt...schlafen, wenn es geht, oder am offenen Fenster rauchen und ...mit einer wundervollen Frau an einem unendlichen Buch schreiben ...

Über den Autor ...

Geboren in Berlin, nach 10 Klassen einen Metallberuf erlernt und wieder aufgegeben, dann Wende, dann Abitur, vorher Zivildienst, dann Studium, abgebrochen, und am Ende Buchhändler...noch vor der Rente...in dieser Zeit immer öfter geschrieben, seit 2003 bei den Lautmalern, vorher NUREMBOURGH gegründet, musikalische Lesung eigener Texte, mit CD im Selbstverlag, 2008 "Blut" in Vision und Wahn Anthologie veröffentlicht, seit 2008 bei den Spree AG lern, und jetzt mal sehen ...