Everybody knows

Sehen

Sehen

Jedermann weiß es…everybody knows…und nur, damit du es nicht vergisst: Blut kann man abwaschen, Blut bleibt nicht ewig an deiner Wange kleben, und Du wirst auch wieder dur ch beide Nasenlöcher Luft holen können…nur jetzt, im Augenblick, macht sie diese komischen Pfeifgeräusche, es klingt, als ob Du jedes mal scharf die Luft einziehst, weil jemand im Raum etwas gesagt hat, was nicht gerade sensibel war…doch hier ist niemand in diesem Raum, nicht mehr, und du könntest dich entspannen…Wieder dieses Pfeifen, und wieder ein leerer Raum…Jedermann weiß es…everybody knows…doch nur damit du es nicht vergisst…Sie ist einkaufen, sie ist länger als nur drei Atemzüge oder drei Fragen oder dreimal Ausziehen weg…sie ist lange weg…Und wieder dieses Pfeifen, wirklich beide Nasenlöcher, die sie dieses mal getroffen hat…doch, hey, sie werden irgendwann wieder frei sein…frei…durchlässig…einatmen…ausatmen…Vielleicht solltest du dir langsam etwas anziehen, nur, damit du dieses mal vorbereitet bist, und ja, langsam, du hast Zeit…jede Bewegung erinnert dich….ja, aber eine Hose solltest du dir anziehen…Jedermann weiß es…everybody knows…doch, nur damit du es nie, wirklich niemals vergisst…sie hat dir an die Hoden gegriffen, weil du ihren Orgasmus versaut hast…mehr nicht…und sie werden wieder abschwellen, und du wirst nicht mehr laufen wie King John auf dem Weg zu Bar…nein…nur zieh dir etwas an…hier, in diesem leeren Raum, solange er noch leer ist…pass auf mit dem T-Shirt, das es nicht wie damals an deinem Nasenrücken hängenbleibt…oben schmerzt es am Schlimmsten, aber auch das vergeht wieder…

Und jetzt, am Fenster, fragst du dich, warum du nicht einfach zur Tür hinausgehst…sie ist offen, nicht abgeschlossen…und selbst wenn…du hast doch einen Schlüssel…Und hier am Fenster, mit all dieser Sehnsucht, mit Blick auf eine lange Straße, und Autos, und Menschen, und Hunde, die du nicht leiden kannst, weil sie schlafende Kinder aufwecken, und du das Schreien nicht mehr aushältst….fragst du dich, warum du nicht einfach auch dort unten läufst, zwischen all den Menschen, und Hunden und Autos…Jedermann weiß es…everybody Knows…doch nur damit du es nicht vergisst…Du weißt es auch…lange schon, also kannst du einfach zur Haustür schleichen, sie öffnen und gehen…

Das ist gut…es ist nicht mehr weit, noch einmal ein Blick zum Fenster, Wolken, Baumkronen, Himmel voll Sonne, dazwischen Regen, Schnee, Dunkelheit, Hagel, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Blitze, Vögel, Bunte Blätter…noch ein Blick zurück durch die Jahreszeiten, zurück durch blutige Augen betrachtet das Wetter, die Stunden, Monate, Jahre…zurück…ein Blick aus dem Fenster, dort unten…ganz tief…eine freie Stelle zwischen den Autos und Menschen und Hunden…und vielleicht läuft sie dort gerade entlang, bleibt vielleicht kurz stehen, an diesem winzigen Ort, der vielleicht auch Freisein bedeutet…vielleicht…und einfacher zu erreichen ist, als ein paar Schritte zur Tür hinauszugehen…Vielleicht…Niemand weiß es…heaven knows…und nur, damit du es niemals vergisst…du weißt es auch nicht…Oder doch?

Auf zerkratzten Fußsohlen zu laufen…jetzt…die Hose drückt an deinem Hoden…und nur, weil du ihren Höhepunkt versaut hast…weil Schlaf nicht vorkommt, nicht zu den Zeiten, zu denen du schlafen willst…nein…und jeder Schritt schmerzt, doch weit ist nun das Fenster, und das ist gut…weit weit weg ist das Fenster, mit dem rosafarbenen Rahmen, diesen leichten Spuren von abgewischtem Rot auf Fensterlack…weit weg, und du schleichst zur Tür, ganz nah….noch ein kurzer Blick durch den Raum, der eigentlich leer ist, und nur dein Pfeifen tönt und zischt in diese Leere…das ganze Stöhnen wird übertönt, das ganze verdammte Kreischen und Klatschen wird endlich, vielleicht endlich übertönt…weißt du es…niemand weiß es…heaven knows….Und du bist an der Tür angekommen, deine Hand greift nach Metal, dein kleiner Finger zuckt, der so hart geritten wurde…und alle anderen Finger schmerzen, weil sie so hart geritten wurden, als nichts Hartes mehr an dir zu finden war, ausser deinem Blick, nach innen gerichtet….dein Knie schon kaputtgeritten, dein Schenkel unsagbar geschunden….und weißt du es…niemand weiß es…heaven knows…und jetzt drückt die Hand mit voller Kraft, und dein Kopf fällt gegen den Rahmen…deine Stirn legt sich an den kühlen Lack, und du riechst dich, riechst alles…riechst ihre Hand an diesem Rahmen, riechst deine Hand auf ihrer Hand an diesem Rahmen, und endlich weißt du es, hier in diesem Raum, mit allen Gerüchen in deiner gebrochenen Nase, hier, mit diesem Pfeifen und Zischen und all dem Blut, das an deinem Kinn eine dünne Spur hinterlässt,…, endlich weißt du es, während der Blutstropfen über die Hämatome rinnt, die deinen Hals färben, über tiefe Kratzer streichelt, eine letzte Berührung deiner Finger, die den Tropfen genau dort verwischen, dort, an deinem Hals, und mit dieser Berührung kannst du endlich loslassen, kannst deine Augen öffnen, kannst dich umdrehen und auf ein geöffnetes Fenster schauen, kannst die Sonne sehen und hinter der Sonne einen Platz, nur für dich allein… und die Klinke wandert wieder nach oben…Everybody Knows.

November Teil 3

1979

Der Soldat ist weg. Einfach weg. Mit Bindfaden und allem. Als sie heute nach Hause kamen, hat der kleine Junge sich gleich unter den Schreibtisch gesetzt, und da war- Nichts.

Die Stuhllehne ohne Bindfaden. Ohne Soldat.

Seine Mutter kann er nicht fragen, obwohl nur sie ihn abgeschnitten haben kann. Aber heute fragen. Unmöglich.

Sie kam schon zu spät in den Kindergarten. Seine Erzieherin hat versucht ihm zu erklären, das das nicht so schlimm sei.

Die weiß gar nichts. Vor allem nicht, was wirklich schlimm ist.

Der Autor will ...

1Alexander

Bücher verkaufen, den Alltag aufschreiben, Kaffee trinken, oft zuviel, manchmal Geschriebenes vorlesen, mal laut, mal leise, Musik auf den Tag abstimmen, oft dabei scheitern, weil die Stimmung zu oft wechselt...schlafen, wenn es geht, oder am offenen Fenster rauchen und ...mit einer wundervollen Frau an einem unendlichen Buch schreiben ...

Über den Autor ...

Geboren in Berlin, nach 10 Klassen einen Metallberuf erlernt und wieder aufgegeben, dann Wende, dann Abitur, vorher Zivildienst, dann Studium, abgebrochen, und am Ende Buchhändler...noch vor der Rente...in dieser Zeit immer öfter geschrieben, seit 2003 bei den Lautmalern, vorher NUREMBOURGH gegründet, musikalische Lesung eigener Texte, mit CD im Selbstverlag, 2008 "Blut" in Vision und Wahn Anthologie veröffentlicht, seit 2008 bei den Spree AG lern, und jetzt mal sehen ...