Alexander Schien
Tote kommen nicht zurück. Keine Möglichkeit mehr, einen Fehler zu korrigieren. Obwohl das auch nicht stimmt. Für mich müßte es heißen: Lebende können nicht zu den Toten reisen, um einen Fehler zu korrigieren.
Und wenn doch?
Ich würde Dir nur einen Satz mitbringen, ein Versprechen.
Die Polizei fand in deiner Wohnung alles, was man zurückläßt, wenn man nie mehr umkehren möchte.
Tag für Tag lebe ich für Minuten in deinem Körper, um mit deinen Augen zu sehen, mit deinem Herzen zu fühlen, und Nacht für Nacht winde ich mich vor Schmerzen, weil ich deine Einsamkeit fühlen muß, weil der Freund, der ich sein wollte, nicht tief genug geschaut hat.
Tote werden nicht zurückkommen, erst recht nicht, wenn der Ort, den sie als Lebende verlassen haben, so sehr nach Einsamkeit gerochen hat, das nicht mal Wodka die Freunde zurückholen konnte.
Ein Bahnhof, ein Supermarkt, und ein nächtlicher Spaziergänger, der dich fand, dort, zwischen Bäumen und Bänken, ein Hund, der dich vielleicht ein letztes mal berühren durfte, die letzte Berührung, die ganz sanft war, bevor du abgeholt wurdest.
Ich sehe ein Gesicht, gerahmt von roten Locken, die so lang waren, weil deine Musik, die du gehört hast, deine Haare wachsen ließ, Musik, die so hart war, mit Stimmen, die aus der Hölle zu kommen schienen, und doch oft von Liebe gesungen haben, auch von Schmerzen, und sowieso von Einsamkeit.
Tote schauen nicht zurück. Auch nicht nach vorn. Tote sind. Tote bleiben. Lebende suchen rückwärts, vor allem, wenn sie einen Satz loswerden müssen, diesen verdammten Satz, der ein ganzes Leben lang ist, mitlerweile zu lang für zwei Leben. Manchmal denke ich, ich müßte dein Leben mitleben, einfach, weil es mir dann besser gehen würde. Doch ich bin viel zu schwach.
Manchmal höre ich meinen Namen, mit deiner Stimme, dieser Name, den nur du benutzt hast, und mit einer Stimme, die Tom Waits Dir stehlen würde…Manchmal höre ich meinen Namen, und weiß aber, das Steine nicht sprechen können, vor allem nicht der Stein, auf dem dein Name glitzert, wenn Sonne sich darin spiegelt, und viel zu oft schließe ich dann die Augen, und das ist nicht gut, weil ich dann Bilder sehe, die mit dir nichts mehr zu tun haben…
Tote können sich nicht wehren, und Lebende können nichts dagegen tun, vor allem nicht, wenn die Bestatter Haare abschneiden, und Gerichtsmediziner Gesichter aufschneiden, und Pfarrer ein Leben erzählen, in dem du nicht vorkommst, und deine Mutter nichts mehr tragen kann, selbst mein Weinen war zu schwer, und dein Bruder hatte auch keine Tränen mehr, weil ich sie alle geklaut hatte, und das Schlimmste, das wirklich Schlimmste…meinen Namen, den du für mich hattest, aus dem Mund deiner Mutter zu hören, später, nach viel zu viel Whisky, der irgendwann nur noch aus meinen Augen rauslief…
Später…Jetzt…Ich werde meinen Satz nicht los, auch nicht nach tausend Wörtern…und sitze ich in einem Cafe, und eine Tür, die ich auf und zu gehend betrachte…und ich weiß, sie wird von dir nicht mehr durchschritten…nie mehr…
Darf ich dich trotz allem noch um etwas bitten…das du ein letztes mal nur meinen Namen sagst…nur noch einmal…mit deiner Stimme…nicht der Stein soll ihn sagen, nicht deine Mutter, nicht mal mehr meine Erinnerung…nur Du…sag: Engelchen…